Zwischen New Jazz und Sendung mit der Maus

 

"Vor 50 Jahren war vieles möglich" Gespräch mit dem legendären Jazz-Trompeter Manfred Schoof

von Horst Peter Koll

 

Manfred Schoof
Foto: Gerhard Richter
 

 

                Herr Schoof, vor 50 Jahren gab es eine immense Aufbruchstimmung im Jazz, auch in Köln, und das nicht zuletzt dank Ihnen.

Schoof: Davon ist manches in Vergessenheit geraten. Damals hatte ich mich mit einigen Gleichgesinnten um einen neuen Ausdruck im Jazz bemüht, besonders um freiere Spielweisen. Das war recht erfolgreich, überregional und international.

 

Besonders 1971 setzte Ihr New Jazz Trio Maßstäbe, eigentlich aber begann alles schon früher, 1965, mit Ihrem ersten Manfred-Schoof-Quintett.

Schoof: Das Quintett war ein wichtiger Faktor in der damaligen Aufbruchstimmung, gerade in Köln. Vor allem Gigi Campi hatte sich unser angekommen, immer wieder baute er mich in seine Veranstaltungen ein. Auch spielte ich in der von ihm initiierten Clarke-Boland Big Band, was für mich kein Stilbruch war, eher eine weitere Facette, um das Erlernte mit neuen Erkenntnissen zu kombinieren. Ich habe solche Vielfalt immer als bereichernd empfunden, während andere eher streng ihren Weg gingen.

 

Zu dieser Vielfalt gehört auch Ihre Begegnung mit Armin Maiwald…

Schoof: Armin Maiwald sprach mich im „Campi“ an, wo sich die Kunstszene versammelte und wir immer an der Theke herumstanden. Er fragte mich: Du machst doch Musik, hast du nicht Lust, für mich einen Film für die „Sendung mit der Maus“ zu vertonen? Die Kindersendung war damals neu, im März wird sie jetzt schon 50 Jahre alt. So habe ich meine erste Maus-Musik gemacht, zu einem Film über Hüte. Anfangs waren es die Sachgeschichten, die ich vertonte, dann kamen Zeichentrickfilme hinzu, später „Der kleine Eisbär“, aber auch andere größere Sachen für den WDR. Ich erinnere mich gern an „Tagebuch einer Gänsemutter“, das war Ende der 1980er-Jahre, eine sehr schöne Doku-Serie über Angelika Hofer und ihre Verhaltensforschungen über Gänse.

 

Vor 50 Jahren war offenbar sehr viel möglich.

Schoof: Ja, im Nachhinein ist diese offene Vielfalt eine Qualität der damaligen Zeit, in der wir Tabula rasa machten, um zu einem neuen Ausdruck zu gelangen. Das hat sich aus einem steten Fluss ergeben. Schon als Student schrieb ich Big-Band-Arrangements, ich studierte bei Kurt Edelhagen an der Musikhochschule, wo er eine Jazzklasse aufgebaut hatte. So habe ich mich ständig in der Nähe seiner Big Band aufgehalten, die europaweit das bedeutendste Jazz-Orchester war und es problemlos mit Stan Kenton und Woody Herman aufnehmen konnte. Um 1964/65 herum habe ich mein erstes Edelhagen-Arrangement geschrieben.

 

Wie muss man sich die damalige Stimmung vorstellen?

Schoof: Weil wir über Edelhagen miteinander verbunden waren, hatten wir auch ständig Kontakt untereinander. Die Edelhagen-Musiker wollten nicht nur ans Orchester gefesselt sein, deshalb spielten sie so gerne in Jam-Sessions. Da waren wir dann dabei, wobei nicht alle auf Augenhöhe mithalten konnten. Karl Drewo, Derek Humble oder Jimmy Deuchar, der mein Lehrer wurde, das waren Edelhagen-Musiker auf einem unglaublich hohen Niveau. Heute könnten das ungleich mehr junge Musikerinnen und -musiker dank ihrer umfassenden Ausbildung. Damals haben wir uns zu Sessions verabredet, so war ich Stammgast im Kintopp Saloon an der Zülpicher Straße, auch im Päff, wo im Januar 1972 erstmals das New Jazz Trio spielte, auch trafen wir uns im Tabu am Ring, mehr noch im Bohème am Eigelstein, das hat sich halt so ergeben.

 

Aus all dem ergaben sich immer freiere Spielformen. Wie kam das?

Schoof: Schon für Edelhagen hatte ich ein freejazz-mäßig angelegtes Stück geschrieben, ich glaube, es hieß „Moods in Three Colors“. So konnte ich meine freieren Vorstellungen in ein Großorchester einbringen. Weit mehr aber hing das mit meiner Ausbildung bei Bernd Alois Zimmermann zusammen, der eine Professur für Komposition an der Kölner Musikhochschule innehatte. Er war sehr am Jazz, aber auch an uns jungen Musikern interessiert, anders als viele andere zeitgenössische Komponisten, die immer nur Angst um ihre Autorität hatten. Wenn wir „free“ spielten und unser eigenes Gedankengut einbrachten, hatte er nie ein Problem damit. Er gab uns den nötigen Raum für Improvisationen, das fing mit seiner Oper „Die Soldaten“ an, später auch bei „Musique pour les soupers du Roi Ubu“ oder „Requiem für einen jungen Dichter“. Für uns war dieser Einfluss von Neuer Musik äußerst wichtig, um eigene Jazz-Vorstellungen auszugestalten.

 

Wobei Sie zwar auch Free Jazz spielten, stets aber Ihre eigenen Vorstellungen von „frei“ hatten. Auch mit dem New Jazz Trio, das Anfang 1970 seine erste Platte einspielte, bei Conny Plank in Godorf.

Schoof: Das New Jazz Trio war die Essenz, das Destillat dieser Zeit des Erfahrens und Entdeckens. Es hat sich in Remscheid an der Akademie für musische Bildung entwickelt, wo Peter Trunk, Cees See und ich Lehraufträge hatten, und abends, wenn wir nicht wussten, was wir machen sollten, haben wir einfach angefangen zu spielen: frei, ohne Vorgaben, uns gegenseitig inspirierend, indem wir uns zuhörten und uns Impulse zuwarfen. Anders als im Free Jazz gab es dabei fast immer auch einen metrisch markierten Rhythmus, was zu einer völlig neuen Form des freien Spiels führte.

 

Vielleicht wurden Sie deshalb später als der „große Romantiker“ der deutschen Jazz-Avantgarde bezeichnet…

Schoof: Eine gewisse Romantik steckt durchaus in mir, und zwar in dem Sinne, wie auch die alte Musik die Romantik einschließt. Das geht bis zu „Verklärte Nacht“ von Arnold Schönberg, ein für mich romantisches Stück, weil es danach drängt, sich vom Bestehenden zu befreien. Ähnlich war es mit dem New Jazz Trio: Wir machten nichts nach, sondern schufen Neues. Heute ist es ungleich schwerer, etwas glaubhaft Bleibendes zu schaffen. Die Ausbildung und die Technik der jungen Jazzmusikerinnen und -musiker sind heute enorm verbessert, aber sich von Vorbildern zu lösen und Neues zu schaffen, ist heute ungleich schwerer.

 

Nach dem New Jazz Trio glückte Ihnen eine ganz besondere Balance aus energetischem Spiel und purer Schönheit: Ein Stück wie „For Marianne“, eingespielt 1976 im Quintett auf der LP „Scales“, beschert heute noch Gänsehaut.

Schoof: Da schwang halt eine große Leidenschaft mit, die tiefe Sehnsucht, sein Gefühl für einen Menschen musikalisch auszudrücken. Dieses zweite Quintett war ein weiteres Destillat, entwickelt aus dem frühen Quintett und dem New Jazz Trio, wobei ich nun die Komposition als wichtiges Element in den Vordergrund rückte. Die freie Improvisation war geblieben, zugleich gab es die Hinwendung zu einer gewissen Schönheit: „Scales“ war eine Platte, die keine Angst vor der Schönheit hatte! Schönheit ist etwas, was sich auch heute noch stilbildend durch den Jazz bewegt, etwas, das pulsiert und sich in ständiger Bewegung befindet.

 

ZUR PERSON

Manfred Schoof, geb. am 6.4.1936 in Magdeburg, zählt zu den bedeutendsten Jazz-Musikern Deutschlands. Von 1958 bis 1963 studierte er an der Hochschule für Musik in Köln, u.a. arbeitete er mit Albert Mangelsdorff, Peter Brötzmann, Mal Waldron, Irène Schweizer, Alexander von Schlippenbach, der Clarke-Boland Big Band und dem Gil Evans Orchester. Ab 1973 war er als Dozent und ab 1990 als Professor für Trompete und Jazz-Musikgeschichte an der Kölner Musikhochschule. Im Dezember 2006 wurde ihm das Bundesverdienstkreuz am Bande verliehen.